Aus den Fängen von Macht und Gewalt zum Befreiungsweg Jesu
Out of the claws of power and violence to the path of liberation of Jesus
Franz Jägerstätter (1907 – 1943) / Jean Goss (1912 – 1991)
Lecture in German by Hildegard Goss-Mayr, August 9th in Tarsdorf at the annual commemoration meeting for Franz Jägestätter. Maybe somebody would find time and interest to translate in english 😉
Geehrte Anwesende, liebe Freunde!
Die Biographie von Franz Jägerstätter ist Ihnen bekannt. Ich möchte jedoch kurz den Hintergrund der Lebensgeschichte des zweiten Zeugen, Jean Goss, aufzeigen: Sein Vater, Paul Goss, stammt aus einer protestantischen Familie der Lyoneser Mittelschicht. Er verliert früh seine Eltern und wird um sein Erbe gebracht. Paul steht unter dem Einfluss anarchistischer Strömungen seiner Zeit. Seine außergewöhnliche Tenorstimme verhilft ihm 1914 zu einem Engagement an der Pariser Oper. Doch kurz darauf bricht der 1. Weltkrieg aus, Paul wird eingezogen, doch bald wegen einer Befehlsverweigerung zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Familie schon drei Kinder. Jeans Mutter, Jeanne Boni, kommt aus der Lyoneser Bourgeoisie. Sie ist gläubige Katholikin, eine starke Frau, die die Familie trägt und den Kindern Glauben und Vertrauen ins Leben vermittelt.
Doch Paul, in das Zivilleben zurückgekehrt, kann sich nicht unterordnen. Er ist ständig auf Arbeitssuche in einer Stadt oder als Pächter auf Bauernhöfen, was sich stets als Fehlschlag erweist. Jean ist der Zweitälteste von fünf Kindern. Die Familie lebt in großer Armut, ja im Elend. Eine regelmäßige Schulbildung ist bei diesem Wanderleben nicht möglich. Wo immer die Möglichkeit besteht, besucht Jean Abendkurse- er ist ein Selfmade man. Alle Kinder sind musikalisch begabt, und das gemeinsame Musizieren wie der Glaube, den ihnen ihre Mutter vermittelt, verbinden die Familie.
Mit 16, als ungelernter Arbeiter in einer Buchbinderei in Bordeaux, erlebt Jean erstmals intensiv das Unrecht gegenüber den Kleinen, Schwachen. Deshalb tritt er der Gewerkschaft bei, die für ihn zum ersten Instrument wird mit der Kraft der Wahrheit für Gerechtigkeit einzutreten.
1930 findet die Familie endlich einen festen Wohnsitz in Arcueil, einem roten, südlichen Vorort von Paris. Der Vater wird Leiter einer Operettenkompagnie und verläßt, mitten in der Zeit der großen wirtschaftlichen Depression, die Familie. Lange und mühevoll suchen Jean und seine Geschwister Arbeit. Schließlich erhält Jean bei der französischen Bahn eine feste Anstellung.
Hier stoßen wir schon auf Gemeinsamkeiten der beiden:
- Beide Franz und Jean leben in einer Zeit des Umbruchs, auf den sie nicht vorbereitet sind. Sie verfügen über keine politische Bildung.
- Beide haben eine harte Jugend, keinen Zugang zu einer höheren Schulbildung.Sie machen die Erfahrung der Armut. Dieses Erleben öffnet ihr Verständnis für die Situation der Armen und Unterdrückten.
- Beide sprechen die Sprache des Volkes, Jean die Sprache des Gewerkschafters, eine Sprache, die dem Leben verbunden ist. Ja, Jean schreit oft das Unrecht hinaus, um die Gewissen aufzurütteln – was nicht von allen Zuhörern geschätzt wird.
Sind es in der Bibel nicht immer wieder Kleine, Ungelernte, die zu Propheten, zu Zeugen des Reiches Gottes berufen werden? Sie wissen, dass sie un-wissend sind und deshalb offen, durchlässig, um den Anruf Gottes zu hören und anzunehmen (wie gut, sagten mir Freunde, dass Jean nicht studieren konnte – er blieb theologisch unverbildet)
Hitlers Regime und der zweite Weltkrieg:
Wurzeln für die Umkehr von Franz und Jean = beide sind Mytiker
Sie lebten auf den entgegengesetzten Seiten der Fronten
Franz
Seit seiner Begegnung und Ehe mit Franziska vertieft sich Franz immer stärker in das Evangelium. Als Messner wachsen sein Glaube und seine Einsicht in die Unmenschlichkeit, in das Böse, in die Gottlosigkeit und Machtbesessenheit des Regimes. Diese Erfahrung belastet, peinigt sein Gewissen. In dieser Situation kommt es zu dem Traum, der zur Wende seines Lebens führt: Er sieht den Zug mit den blind ergebenen Menschen in das Verderben rasen.
Ja, Franz ist Mystiker: er öffnet sein Herz und seinen Verstand dem Anruf Gottes, der nmenschlichkeit des Nazi-Regimes wie der Sündhaftigkeit des von diesem in seinem Größenwahn entfachten Krieges zu widerstehen. Nein, unschuldige Menschen zu töten widerspricht radikal der Botschaft Jesu. Schritt für Schritt wächst diese Gewissheit in Franzens Gewissen und führt in wachsender Klarheit zu seiner Entscheidung, den Waffendienst zu verweigern und die Konsequenzen aus diesem Schritt auf sich zu nehmen. Wir wissen, dass auf diesem schweren Weg in Treue zu seinem Gewissen, Franziska bis ans Ende seine treue Begleiterin geblieben ist.Franz wird zum Kriegsdienstverweigerer in der Nachfolge des Liebesgebotes Jesu, zum Märtyrer in Treue zu seinem Gewissen. Er widersteht der Lüge und Macht des Regimes, läßt sich nicht zum Töten vereinnahmen. So bezeugt er die große innere Freiheit des Christen, über die das mörderische Regime keine Macht hat.
Jean
Auch Jean Goss bedarf der Umkehr. Er wächst als engagierter, doch traditioneller Christ auf. Während des Wanderlebens der Familie setzt er sich mit seinen Geschwistern in den jeweiligen Pfarren ein. In dem festen Wohnsitz in Arcueil -Paris baut er die christliche Gewerkschaft auf. Jean ist sozial engagiert, doch politisch unerfahren. Er leistet den Militärdienst und wird Unteroffizier.
Wie alle Franzosen betrachtet er mit Sorge die Politik und die Kriege Mussolinis , den Bürgerkrieg in Spanien und den Aufstieg Hitlers. Nach Ausbruch des 2. Weltkrieges wird er als Unteroffizier in ein Regiment mit nahezu ausschließlich algerischen Soldaten eingezogen. Den ganzen Winter und das Frühjahr 1940 kommt es in Frankreich zu keinen Kämpfen. Der Krieg spielt sich nach dem Polenfeldzug in Skandinavien und Holland ab. Doch im Mai schlägt die deutsche Armee in Frankreich zu. Sie überrollt große Teile des Landes und umkreist, aus Belgien vorstoßend, die französischen und alliierten Truppen. In größter Not wird versucht, 300.000 Soldaten von Dünkirchen nach England einzuschiffen. Um dies zu ermöglichen, muß der Vormarsch der deutschen Panzer um jeden Preis gestoppt werden. Es kommt zu der blutigen, opferreichen Schlacht bei Lille, in der Jeans Regiment eingesetzt wird. Mit großem Mut kämpft er Tag und Nacht mit einem Panzerabwehrgeschütz gegen, wie er meint, den „Teufel Hitler“, und erhält hohe Auszeichnungen. Doch wie er sieht, dass er weder Nazibonzen noch Generäle tötet, sondern kleine Leute wie er, Familienväter und junge Männer, ist das Gewissen des Christen und Gewerkschafters zutiefst erschüttert. Er ist erschöpft und entmutigt. In dieser Situation kommt es zur Wende seines Lebens, die er in einem Brief so beschreibt:
„Eines Tages, kurz vor meiner Gefangennahme, erwachte ich plötzlich wie außer mir: Mit ungeheurer Kraft brachen Friede und Freude in mir aus. Ich hätte mein Glück hinausschreien können. Ich war erfüllt von Vertrauen, Gewissheit und Frieden, völlig unverständlich, denn ich war ja mitten im Krieg. Es war mir, als schwebte ich über den Menschen, die alle nach irgendetwas zu laufen schienen, das sie gänzlich fesselte. Und gleichzeitig durchdrang meine Seele eine immense Liebe zu ihnen: ich liebte sie.Ein tiefes Verlangen, den Menschen dieses unendliche Glück weiterzugeben, erfüllte mich. Und ich erhielt die Antwort:“Ich bin der Vater all dieser Menschen! Ich liebe sie mehr als alles,was du dir vorstellen kannst…Ich habe sie erschaffen, damit sie Gott seien mit MIR, das heisst, dass sie lieben, wie ich sie geliebt habe, bis zur Hingabe ihres Lebens füreinander… Lehre sie, einander zu lieben, so wie ich sie liebe.“ (Brief an Edmund Stinnes, 6.Februar 1980)
In dieser Gottesbegegnung offenbart sich Jean die EINHEIT und unantastbare Würde aller Menschen: Freund und Feind. Die totale Gewalt, die er erlebt, kann nur durch die sich hinschenkende, unbedingte Liebe, die auch den Feind einschliesst , überwunden werden. Diese Liebe ist für ihn, wie er immer neu betont:“Wahrheit und Gerechtigkeit. Sie ist aktiv, dynamisch, aggressiv gegen das Böse, nicht aber gegen den Menschen, lebenspendend und erlösend, das heisst, sie zahlt für die Schuld des Andern.“ Vier Jahre verbringt Jean in Kriegsgefangenschaft in Nord-Ostdeutschland,wo er bei Großbauern arbeitet. In dieser Zeit entdeckt er langsam in dieser universellen, unbedingten gewaltfreien Liebe Gottes: Jesus, dem er sein ganzes Leben innig und sehr persönlich verbunden bleibt. Er erkennt, dass es seine Mission ist, diese Liebe als Kriegsgefangener umzusetzen. Mit großer Entschlossenheit setzt er sich für die Rechte seiner Kameraden ein; dabei gerät er in Konflikt mit Großbauern und dem deutschen Militär und wird zum Tode verurteilt: doch sein Zeugnis der Gerechtigkeit und Liebe ist so beeindruckend, dass der verantwortliche Offizier ihn freilässt…
Die Einsamkeit von Franz und Jean – das Geschick von Propheten und Zeugen
Franz und Jean sind immer wieder von Kirche und Gesellschaft alleingelassen.
Sie sind ihrer Zeit voraus, ebnen den Weg für andere, die nachfolgen, um die Kirche zur Gewaltfreiheit Jesu zurückzuführen, um friedenschaffende Kraft in der Welt zu sein.
Franz
Wir wissen von der Einsamkeit Franz Jägerstätters, wie Priester und Kirchenführer sich scheuten, sich fürchteten, ihn in seiner evangeliumgetreuen Haltung zu unterstützen oder in ihrer Verblendung nicht einsichtig waren in den Frevel dieses Krieges, der ihnen von der Propaganda als Kampf gegen den Kommunismus eingehämmert wurde. Wir wissen von seiner Einsamkeit in seinem eigenen Umfeld, im Dorf, hätte es nicht Franziska gegeben, die ihn verstand , die seine Stütze war in aller Not, die für sie beide aus Franzens Entschluss erwuchs. Gerade deshalb ist es eine große Ermutigung, dass die Kirche nach vielen Jahren, nach langem Zögern, nach dem mutigen Aufarbeiten seines Zeugnisses durch Gordon Zahn, Erna Putz u.a.wie durch die theologische Betreuung durch Bischof Manfred Scheuer, Franz seliggesprochen hat. Ein Seliger, ein Vorbild, ein Herausforderer für die Kirche auf ihrem Weg zu einer befreienden und versöhnenden Friedenskirche.
Jean
Auch Jean Goss war einsam, oft missverstanden, zurückgewiesen, angeklagt, verspottet. 1945 kehrt Jean aus der Kriegsgefangenschaft in ein, nach der deutschen Besetzung und dem Vichy-Regime verarmtes , politisch und kirchlich zerrissenes Frankreich zurück. Er ist von dem brennenden Wunsch erfüllt „sich jeden Augenblick dem Willen Gottes…für die Befreiung und Erlösung der Menschen zur Verfügung zu stellen“.(Brief an H.Mayr,3.7.1956)Er ist auf der Suche nach Personen, die wie er überzeugt sind, dass jedem Menschen,auch dem Gegner und Feind, weil von Gott erschaffen und geliebt, unbedingte Achtung gebührt und die deshalb Gewalt und Krieg verurteilen. Er kontaktiert die bekannten christlichen Intellektuellen der Epoche wie Francois Mauriac, Louis Massignon, Maurice Vaussard, er befragt die großen Theologen Congar, Chenu, Dubarle. Sie verstehen seine vom Evangelium inspirierte Gewaltfreiheit, doch sie teilen nicht seine Überzeugung. So mancher von ihnen hatte im bewaffneten Widerstand gegen die deutsche Besatzung gekämpft.
Erst in Henri Roser, Pastor der Reformierten Kirche und Vorsitzender des Französischen Versöhnungsbundes, begegnet Jean einem Christen und einer Bewegung, die die Gewaltfreiheit Jesu als grundlegendes und verpflichtendes Prinzip ihres Glaubens und ihres Lebens versteht. Er hilft Jean die theologischen Fundamente der Friedensbotschaft Jesu zu erarbeiten, erklärt ihm den Kompromiss, den die Kirche seit dem 4. Jahrhundert unter Kaiser Konstantin in den Fragen von Gewaltanwendung und Machtpolitk einging und die Theologie des sog. „Gerechten Krieges“. Er ermutigt ihn, die Gf. Jesu in der Katholischen Kirche zu bezeugen
Jean Goss wird Kriegsdienstverweigwerer:
Langsam reift in Jean die Überzeugung, dass es notwendig ist, die Verbindung mit der Armee völlig zu brechen. Am 20. Dezember 1948 richtet er folgendes Schreiben an den Verteidigungsminister:
“Herr Minister, heute habe ich meinen Militärpass und mein Kriegsverdienstkreuz eingeschrieben an Sie persönlich zurückgeschickt. Ich hatte dies, so lange es mir möglich war, behalten. Da mein Gewissen mir nun verbietet zu töten, kann ich nicht länger behaltzen, was mich noch an diese Verpflichtung bindet. Seit Jahren führe ich diesen Kampf mit mir selbst. Heute befreie ich mich davon mit innerem Frieden. Ich stehe Ihnen für alle Maßnahmen, die sie mir gegenüber zu ergreifen berechtigt sind, zur Verfügung.“
Zu dieser Zeit gab es kein Gesetz zum Schutz von Kriegsdienstverweigerern in Frankreich. Man hätte ihn verhaften können. Von nun an kämpft er anseiten von Abbé Pierre, Henri Roser u.a. um ein solches Gesetz durchzusetzen.
Jean Goss, Zeuge der Gewaltfreiheit Jesu in der Kirche
Zu Beginn der 50er-Jahre gelingt es Jean, eine Arbeitsgruppe zur Frage der Gewaltfreiheit Jesu ins Leben zu rufen. Ihr gehören u.a.der Jesuit Pierre Lorson, die Dominikaner Régamey und Journet und der Arbeiterpriester Boudouresque an. Während dieser Jahre verknüpft sich diese Gruppe mit Gleichgesinnten in Europa und den USA (Dorothy Day, Thomas Merton), so dass zu Beginn des Konzils ein Netzwerk katholischer Gewaltfreier besteht.
Seit seiner Rückkehr 1945 setzte sich Jean anseiten der Armen ein. Diese waren meist Mitglieder der damals starken Kommunistischen Partei, durch die sie eine soziale Verbesserung des Lebens erwarteten. Die Partei verfügte auch über eine, von Moskau orientierte Friedensbewegung ,“Mouvement de la Paix“. Immer wieder wurde Jean vorgeworfen, dass die Katholische Kirche sich nicht gegen die Wiederaufrüstung und die Atomwaffen einsetze. Wir dürfen nicht vergessen, dass in den 50er-Jahren der Kalte Krieg zwischen Ost und West gefährlich eskalierte , die christlichen Kirchen großteils mit der Politik des Westens verbunden waren und der Möglichkeit eines „Gerechten Krieges“gegen den Osten, oder zumindest der Abschreckung durch Atomwaffen zustimmten.
Das Schweigen der Kathol. Kirche war für Jean eine schwere Last. Als er jedoch erfuhr, dass ein Kirchenrechtler des Heiligen Offiziums (heute Glaubenskongregation) im Vatikan geschrieben habe,“der Krieg ist völlig zu untersagen“, entschied er sich spontan Msgr. Alfredo Ottaviani (späterer Kardinal und Bremse im Konzils) aufzusuchen. Da er auf mehrere Schreiben keine Antwort erhielt, trat Jean im März 1950 die Reise nach Rom an. Ohne Einladung musste er sich im Vatikan mit lauter Stimme Zutritt verschaffen, indem er auf sein Recht als Glied des Leibes Christi pochte.
Erstaunt über diesen Lärm tritt Ottaviani aus seinem Büro. Jean verbringt zwei Stunden mit ihm. Er gibt Zeugnis von seinem Einsatz als Soldat gegen Hitler, der viele unschuldige Menschen getötet hat und von der Einsicht, die Gott ihm schenkte, dass alle Menschen ausnahmslos von ihm geliebt und deshalb absolut zu achten sind, er spricht von dem gewaltlosen Befreiungsweg Jesu, der während seiner Kriegsgefangenschaft selbst Nazis zur Umkehr brachte.Er besteht darauf, dass wir Christen den Kommunisten ein Zeugnis dieser Liebe zu geben hätten und dass ein Christ jeden Krieg verweigern müsse. Tausende Christen erwarten diesbezüglich eine Stellungnahme von der Kirche.
Ottaviani ist zutiefst berührt. Er sagt zu Jean: „Die Kirche ist noch nicht so weit, doch du hast eine Mission in der Kirche und in der Welt, die Gott Dir anvertraut hat. Geh und gib Zeugnis“. Und dieser konservative Kardinal wird diese Haltung im Konzil vertreten und unsere Arbeit dort unterstützen. In einer Kommission sagte er:“ Mit diesem Jean Goss ist nicht zu spassen; doch das ist der Atem des Heiligen Geistes.“
Friedenslobby beim 2. Vatikanischen Konzil – Jean Goss ist nicht mehr allein.
10 Jahre später, am 25. Dezember 1961 verkündet Jahannes XXIII. die Abhaltung des 2. Vat. Konzils. Durch unsere Taufe wissen Jean und ich uns verpflichtet, uns dafür einzusetzen, dass die Friedensverantwortung der Kirche in das Konzil eingebracht wird.Es ist der Höhepunkt des Kalten Krieges, die Bedrohung durch einen Atomkrieg versetzt die Menschheit in Schrecken. Sie erwartet eine starke Friedensbotschaft der Kirche. Im Namen des Internationalen Versöhnungsbundes und in wachsender Zusammenarbeit mit Pax Christi und anderen Friedensgruppen bauen wir eine Friedenslobby auf, um Bischöfe und Theologen zu gewinnen, diese Frage auf die Agenda zu setzen. Es ist keine leichte Aufgabe, da vor allem Gruppen um Kardinal Spellman aus den USA den „Gerechten Krieg“ (gegen den Osten) zu bestätigen suchen. Es gelingt uns, prominente Konzilstheologen wie Karl Rahner, Yves Congar und Bernhard Häring zu gewinnen, uns zu helfen Eingaben (in Latein) zu formulieren sowie Bischöfe, die die Vorschläge unterstützen, zusammenzuführen.
Im Wesentlichen sind es drei Forderungen, die eingebracht werden:
- Den modernen Krieg und die Herstellung von ABC-Waffen sowie deren Verwendung zur Abschreckung zu verurteilen;
- das Recht auf Militärdienstverweigerung und den Ungehorsam gegen unmoralische Gesetze und Befehle zu bekräftigen;
- die Gewaltfreiheit Jesu als Leitlinie für die Friedenslehre und das Friedensengagement der Kirche anzuerkennen.
Jean führt Gespräche mit sehr zahlreichen Konzilsvätern. Sein, auf seine Erfahrungen gegründetes Zeugnis, das unseren Auftrag zum Dialog mit dem Feind einschließt, beeindruckt viele Konzilsväter, die bisher einseitig die Haltung des Westens vertraten. Die Auseinandersetzungen sind hart, aber von großer Offenheit im Vertrauen auf das Wirken des Geistes Gottes.
Während der letzten Konzilsperiode wird im Rahmen von Gaudium et spes die Friedensfrage ( im Kapitel 5) behandelt. Unsere Vorschläge werden nur teilweise aufgenommen ( Fasten und Botschaft der Frauen, Verdun – CO-Position, Rahner), doch es sind Ansätze für die Weiterentwicklung unter Joh.Paul (Vergebungsbitten) u.Benedikt XVI
Viel stärker jedoch war der Widerhall im Volk Gottes in unterdrückten Nationen, die sich nach dem Konzil gewaltfrei gegen Unrecht erhoben: Solidarnosc in Polen, People Power in den Philippinen wie in Madagascar, evangelische Christen in der DDR. Und diese Erfahrungen wirken auch heute kraftvoll weiter, meist inspiriert duch eine Religion (Buddhismus, Hinduismus, Islam) oder durch eine humanistische Haltung wie die junge Generation im Mahgreb.
Franz und Jean – Geburtshelfer für gewaltfreies Friedenschaffen in der Gesellschaft
Franz
Wegen seines Märtyrertods war es Franz Jägerstätter nicht gegeben, persönlich in der Nachkriegszeit seine Haltung gegen den Krieg zu bezeugen. Doch die Aufarbeitung seines Zeugnisses gegen den Krieg und das Nazi- Regime hat Kirche und Gesellschaft in Österreich und darüber hinaus gezwungen, sich einerseits neu der Frage des sog.„gerechten Kireges“ zu stellen, andererseits hat sie einen wirksamen Anstoß zu der langen, noch nicht abgeschlossenen Auseinandersetzung um die Anerkennung und Rehabilitierung der Opfer des Nationalsozialismus gegeben d.h. zu einem Prozess der Meinungsbildung, des Umdenkens, der Vergebung und Versöhnung angestoßen. So ist Franz weiterhin Kämpfer für Frieden und Versöhnung in unserem Land. – Möge er uns weiter begleiten!
Jean
Jean Goss war berufen, in Treue zu seinem Gewissen und seiner Mission, Zeuge der Gf. Jesu in der Welt zu sein, dabei nicht selten vom Tod bedroht. Im Algerienkrieg (1956-62) setzte er sich mit der gf. Bewegung „Action Civique Non-Violente“ für ein Ende des Krieges und die Unabhängigkeit Algeriens ein. Um die Wahrheit über diesen Krieg aufzudecken, transportierte er geheime Dokumente und Flugblätter ausBelgien nach Frankreich z. B. über Folterungen der französischen Armee in Algerien.
In der Ost-Westarbeit während des Kalten Krieges half er durch Pionierarbeit das Gespräch mit dem Feind über den Eisernen Vorhang hinweg aufzubauen.
Schulung in Spiritualität und Methoden der Gewaltfreiheit. Bald erkannte er die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Schulung in Gf., um Menschen auf ihr Engagement vorzubereiten. So entstanden Seminare, die stets die beiden Pole: Spiritualität und Methoden verbanden und die im Menschen grundgelegte Gütekraft entfalten halfen und zur Anwendung brachten.Jean wurde in viele Krieg und Unterdrückung unterworfene Gebiete eingeladen, half dort Angst zu überwinden und die befreiende Kräfte der Gewaltlosigkeit freizusetzen.
Zwei Beispiele sollen dies beleuchten:
Zaire (DRKongo)
Unterder Diktatur von Präsident Mobutu war Jean 1987 und 1989 zu Schulungen im Zaire. Abbé Achille Nzengu, der Jean begleitete, berichtete:“
„Als Jean Zaire besuchte, wurde das Land von einer Militärdiktatur und ihrer Einheitspartei regiert. Jede abweichende politische Meinung wurde gewaltsam unterdrückt. Die Bevölkerung lebte in ständiger Angst… In dieser Situation erschien Jean überraschend wie ein völlig freier Mensch, der keine Angst hat, der es wagt, die Wahrheit zu sagen, die ganze Wahrheit.
Eine erste Wirkung, die das Zeugnis von Jean hatte, war, das Gewissen der Teilnehmer aufzurütteln, um sie herauszufordern und Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen… sich aufzurichten und zu kämpfen, nicht gegen die Übeltäter, sondern gegen das Böse, das sie inkarnieren. Eine weitere Frucht war die Befreiung von der Angst: Von der Angst, die Wahrheit zu sagen, das Unrecht anzuprangern, Verantwortung auf sich zu nehmen… Eine weitere Folge der Botschaft war die Umkehr der Gewissen und Herzen nicht weniger Teilnehmer zu den Werten der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Liebe zum Nächsten bis zur Feindesliebe und Schuldvergebung. Schließlich die Wiederentdeckung der Botschaft Jesu als Quelle der Inspiration für soziales und politisches Handeln.“
Aus diesen Seminaren gingen Gruppen hervor, die sich bis heute für größere Gerechtigkeit einsetzen wie z.B in Lubumbashi die Gruppe GANVE, die mit großer Durchhaltekraft und unter vielen Opfern gegen ethnische Vertreibung, für kostenlose Grundschule für alle Kinder, für Menschenrechte im Bergbau usw. einsetzt.
Libanon
Eingeladen von dem melkitischen Erzbischof von Beirut, Grégoire Hadat, arbeitete Jean 1974 und 75 und 1980 und 81 vor, während und nach dem Bürgerkrieg im Libanon mit dem Ziel, möglichst vielen Libanesen die Haltung und die Kraft der Gf zu vermitteln. Hunderte junger Menschen erreichte die Botschaft in Schulen, Instituten und Universitäten.Trotz Bedrohung durch Scharfschützen, Straßensperren und den gewaltsamen Widerstand gewisser Milizen – katholische eingeschlossen – gegen sein Engagement für Abrüstung und Frieden, zögerte Jean auch während des Krieges nicht, alle Regionen des Landes aufzusuchen, mit politischen und religiösen Führern wie mit den Leitern von Milizen Kontakt aufzunehmen.
Eines Tageswährend er in einer renomierten kahtolischen Schule von Beirut einen Vortrag hielt, umstellte eine christliche Miliz das Gebäude und begann zur Einschüchterung der Teilnehmer Schüsse abzugeben. Alle waren von Furcht ergriffen. Da nach Beendigung der Veranstaltung die Schießerei anhielt, sagte Jean nach einiger Zeit: Los, wir gehen hinaus. Der Augenblick zu sterben ist noch nicht gekommen! An der Spitze der zahlreichen Teilnehmer verließ er den Saal. Kein einziger Schuss wurde abgefeuert.
Ein anderes Mal, während eines Vortrags in einer Privatwohnung in Beirut, schoss man durch das Fenster auf ihn. Die Kugel ging knapp an seinem Kopf vorbei und durchdrang eine Ikone an der Wand. Seine Stunde war noch nicht gekommen.
Jean und Franz hatten die Furcht vor dem Tod überwunden und jene Freiheit gewonnen, die es – in der Nachfolge Jesu – erlaubt, sich den „Mächten und Gewalten“ des Bösen entgegenzustellen und sie so zu ent-machten.
Partnerschaft: Franz und Jean waren getragen von einer Partnerschaft
Den Weg des Propheten, Mytikers oder Zeugen geht man selten allein. Menschwerdung vollzieht sich ja in der Begegnung mit Anderen. Je tiefer eine geistige, intellektuelle, seelische – auch körperliche – Begegnung ist, umso mehr trägt sie zu Reif-Werdung bei und wird Hilfe auf dem Weg zu Klärung, bei der Überwindung von Krisen ( auch in unserer Beziehung) , in Zeiten des Zweifels, der Enttäuschung, der Leere. Ja, wir benötigen die gegenseitige Ergänzung, das Vertrauen, die Geborgenheit. Nicht wenige hervorragende Menschen bestätigen diese Erfahrung:z.B. Bendikt von Nursia und seine Schwester Scholastika, Franziskus und Klara, Franz von Sales und Franziska von Chantal, Dorothee Sölle und Fulbert Steffensky, um nur einige zu nennen.
Ich selbst empfinde die Begegnung und das Miteinander mit Jean als ganz große Gnade in meinem Leben, als ein Geschenk, das uns gegenseitig geprägt hat: ja, wir benötigten einander. Jean’s vulkanische Liebe bedurfte der ausgleichenden Sachlichkeit und intellektuellen Begleitung unseres Engagements; mir wurde von Jean das unerschütterliche Vertrauen ins Leben, an die Gegenwart Gottes im Leben geschenkt, die in mir durch die Erfahrung von Krieg und Gewalt in jungen Jahren geschwächt, verletzt waren.
In gleicher Weise war Franziska ein Gnadengeschenk für Franz. Es sind dies Bindungen, die über den Tod hinausreichen, weiter wirken und für viele andere Menschen fruchtbar werden. In diesem Sinne möchte ich meine Ausführungen mit Dank und in tiefer Verbundenheit mit Franz, Franziska und Jean schließen.
Alle Zitate sind dem Buch
Hildegard Goss-Mayr, Jo Hanssens „Jean Goss – Mytiker und Zeuge der Gewaltfreiheit“, Patmos 2012 entnommen.